Nostalgie? Diesen Artikel habe ich 2007 verfasst. Zu Frau und Beruf. Er hat an Aktualität nicht eingebüsst.
Büro Federal
Sie nestelt in ihrer Handtasche. Taxfree aus Mailand Malpensa, mit Reissverschluss und vielen Fächern. Nicht zu gross. Gerade Platz genug für einen Notizblock und einiges von diesem Krimskrams, den jede Frau für notwendig hält ständig mit sich zu führen. Nach immer heftiger werdendem Wühlen sieht sie ihn gelb schimmern. Den Notfallspray, den sie sucht. Der Apotheker um die Ecke hat ihn ihr empfohlen, nachdem sie ihre Symptome schilderte. Ob sie da drüben arbeite, fragte er mit einer Kopfbewegung in Richtung des grossen Verwaltungsgebäudes, von dem gerade noch eine dominante Ecke zu sehen war. Wie er dies nur wissen konnte, hatte sie sich gefragt und innerlich die Stirn gerunzelt.
Sie reisst den gelben Deckel von der bequemen Darreichungsform und hält sich den Spray an den offenen Mund. Zwei Pumpstösse und die Welt erscheint wieder heller.
Sie schluckt. Langsam verdrängt der Alkohol die Bitterkeit.
Immerhin soll es beruhigen. Sie hält das Fläschchen gegen das Licht. Es hat schon öfter beruhigen müssen. Wirkt auch gegen übermässiges Engagement, wie sie unterdessen aus dem Internet erfahren hat.
Sie wird sich Nachschub organisieren müssen. Vielleicht besser in einer anderen Apotheke. Ganz Bern scheint voll von Apotheken und Drogerien, die auf grossen Werbeplakaten Rescue Produkte von Dr. Bach anpreisen. Offenbar gibt es einen Markt dafür in der Bundesstadt, denkt sie bei sich und lächelt schief. «Wenigstens die Wirtschaft profitiert.»
Ob man sich daran gewöhnt?
Selbstständig, zielorientiert, dynamisch, mit gewinnendem, sicheren Auftreten, kommunikativ und professionell waren die Stichworte in der Personalausschreibung, die sie gelockt hatten. Es klang wirklich danach, als würde jemand gesucht, der Veränderungen initiiert, professionell umsetzt und begleitet. Jemand mit Reformergedanken im Blut und der entsprechenden Erfahrung. «Ihr Verhandlungsgeschick haben Sie schon oft unter Beweis stellen können.» Sie hatte der Tonalität Glauben geschenkt. Das milde Lächeln des leitenden Vorgesetzten hatte sie als väterlich interpretiert und das aufmunternde Nicken der Personalassistentin als zustimmend, während sie im zweiten Vorstellungsgespräch lebhaft ihre Ideen darlegte. Sie wurde aus mehr als zweihundert Bewerbern ausgewählt. Bestimmt waren ihre internationalen Projekterfahrungen und ihr Sprachaufenthalt ausschlaggebend gewesen. Und natürlich ihr Studium an der Uni, erzählte sie ihren Eltern beim Sonntagsbraten. Sie hatte sich zum Essen angemeldet, im Versuch, die sie Tage später immer noch überwältigende Begeisterung zu teilen. «Stell dir vor, wir werden Prozessmanagement einführen. Toolunterstützt. Transparent. Wirkungsorientiert. Genau so, wie es moderne Unternehmungsführung verlangt und in vielen grossen erfolgreichen Konzernen längst Usus ist. Ich mache E-Government!»
Ihr Vater hatte keinen Ton gesagt und nur leicht die Schultern gewiegt. Nach einer Weile begann sie das zu irritieren und sie wurde im Erzählfluss etwas stockender. «Vati freut sich schon für dich», beschwichtigte ihre Mutter. «Wir sind auch froh, dass du mit der Reiserei aufhörst. Das Fliegen jede Woche irgendwohin und die unsichere Situation in diesen Betrieben und auch diese fremden Kulturen in all den Ländern. Das hat uns schon etwas beunruhigt. Dass du nun mehr Zeit für uns hast und sesshaft wirst, gefällt Vati sicher auch. Nicht wahr, Vati?» Vati brummte zustimmend.
Sie spürte auch, dass in ihrer Mutter die Hoffnung auf ein Enkelkind wieder leise aufkeimte. Das war alles falsch. Ihre Eltern irrten sich! Sie ging nicht in die Verwaltung, um es ruhig und sicher zu haben. Sondern um auch dort einzuführen, was sie über Jahre international gelernt hatte. Besser, schneller, günstiger, E-ffektiver …
Sie lehnt sich im Stuhl zurück, mit der Faust das Rescue Fläschchen umklammernd und beschwört die damalige Hochstimmung in sich herauf. Nichts, was zwischenzeitlich geschehen war, hatte ihren Reformwillen brechen und sie entmutigen können. Da und dort ein Dämpfer war sicher normal. Aber so?
Er hatte einen schlechten Tag, der väterliche Vorgesetzte. Es war bestimmt der falsche Moment. Sie hat ihn überrumpelt, versucht, ihn mit ihrer Begeisterung anzustecken. Im Bestreben ihn zu überzeugen, hat sie sich über den Tisch gelehnt. Ist laut geworden. Hat ihn bedrängt. Je zugeknöpfter er wurde, desto mehr hat sie nachgelegt. Sie wollte mit aller Macht seine Zustimmung erzwingen. Er hätte nur ja sagen müssen. Und sie hätte es auch allein gemacht. Nur ja sagen hätte er müssen. Nur ja sagen.
Stattdessen presste er durch schmale Lippen: «Jetzt halten Sie mal die Luft an: Sie sind nicht hier, weil jemand von uns glaubt, dass Sie was können. Sie sind hier, weil der Direktor auf eine Frau bestanden hat!»
… «Hilft optimal in Stresszuständen, bei unerwartet schlechten Nachrichten, Auseinandersetzungen oder Erschrecken. Für Trost und Ausgeglichenheit. Zwei Sprühstösse auf die Zunge geben.» Und: «Nicht in die Augen sprühen…»
«Büro Federal» erzählt fiktive Geschichten aus der öffentlichen Verwaltung, aus der Sicht einer jungen, engagierten Frau